Schon oft – zu oft – wurde die Frage an mich herangetragen, was denn zu diesem oder jenem Problem aus der Lebenspraxis „die“ Philosophie zu sagen hätte. Meine Antwort musste wiederholt lauten: „Die Philosophie gibt es gar nicht!“ – Will sagen, dass es eben nicht nur eine, oder die eine Philosophie gibt, sondern vielmehr durchaus verschiedene und mannigfaltige Philosophien, deren Blick auf die Menschen und die Welt sehr unterschiedlich, manchmal auch gegensätzlich und sich widersprechend ausfallen kann. –
An einigen guten philosophischen Instituten wird diese differenzierende Sichtweise auch gelehrt. Da ist dann beispielsweise die Rede von:
– Theoretischer Philosophie
– Praktischer Philosophie
– Politischer Philosophie
– Sozialphilosophie
usw..
Eine weitere hilfreiche Unterscheidung unterschiedlicher Spielarten von Philosophie ist der zwischen Skepsis und Dogmatik. Ein dogmatischer Philosoph sagt: „Schaut her, so ist es, dies ist die Wahrheit, und das ist zu tun.“ Ein skeptischer Philosoph hingegen tritt mindestens ein, zwei Schritte zurück, betrachtet die unterschiedlichen Sichtweisen und Positionen, und mag sich nicht so recht für die eine oder andere entscheiden. Mit Bedacht setzt er sich zwischen die Stühle der herrschenden Lehren,was ihm den Ruf einbringen kann, durch sein zögerliches Räsonieren handlungsunfähig geworden zu sein. Doch handelt es sich hier um ein gehöriges Missverständnis: Gerade durch seine Unentschlossenheit entstehen Akzeptanz und Toleranz. Die Akzeptanz andersartiger Sichtweisen und Meinungen, denen er dann tolerant begegnen kann. Dies möge man Gewaltenteilung nennen, einer Teilung auch noch jener Gewalten, die die Überzeugungen sind [1], und sollte in einer Demokratie selbstverständlich sein. –
In eine ähnliche Kerbe schlägt Richard Rorty mit seiner Unterteilung in systematische und bildende Philosophen:
„Große systematische Philosophen bauen wie große Wissenschaftler für die Ewigkeit. Große bildende Philosophen zertrümmern um ihrer eigenen Generation willen. Systematische Philosophen möchten ihr Fach auf den sicheren Pfad einer Wissenschaft führen. Bildende Philosophen wollen dem Staunen seinen Platz erhalten wissen, das die Dichter manchmal hervorrufen können – dem Staunen, daß es etwas Neues unter der Sonne gibt, etwas, das (zumindest im Augenblick) nicht zu erklären und kaum zu beschreiben ist.“ [2]
Abgesehen davon, dass es „die Ewigkeit“ noch nie gab und auch nicht geben wird, sei an diesem Ort erinnert an das berühmte Zitat von dem griechischen Philosophen Heraklit:
„Alles fließt.“
Doch selbst dies ist nur eine von vielen möglichen Perspektiven, Menschen, Welt und Geschichte zu betrachten. Eine entgegengesetzte Perspektive betont die statischen Momente bei Menschen, Welt, Natur und Geschichte, um im Trubel des Lebens irgenwie doch noch minimale Sicherheiten zu erhaschen. Wiederholungen gehören hierzu, sie sehen im Neuen das Alte, und geben ihm damit die Sicherheit des Bekannten und Vertrauten.
Statik und Dynamik – beide Sichtweisen zu berücksichtigen, gehört meiner Auffassung nach zu einem dialektischen, Scheuklappen entbundenem Denken.
So kommen wir zu den alten Griechen, über deren Denken bei dem neapolitanischen Ingenieur Luciano De Creszenzo in seinen zwei Bänden über die Geschichte der griechischen Philosophie interessante Dinge in flottem Schreibstil zu erfahren sind. Niemand weiß, warum im antiken Griechenland noch selbst der ärmste Mann es wagte, sich über Menschen und Welt, Staat und Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst Gedanken zu machen. Vielleicht lag es an der Sonne und dem mediterranen Klima? –
Jedenfalls und immerhin sind bei besagtem Autor unterschiedlichste Denk- und Lebenshaltungen dargestellt. Da gab es beispielsweise Kyniker und Kyrenaiker, Stoiker und Epikureer. Der Kyniker strebte danach, möglichst unabhängig und frei von Macht und Herrschaft sein Leben zu gestalten. Daher blieb er arm, und ernährte sich von Luft, Liebe und Gemüse.
Der Kyrenaiker hingegen sagte sich: „Was soll’s?“, und war am Königshof ein willkommener und gern gesehener Untermieter, da er meistens schwieg, oder dem Herrscher zum Munde redete. Auf diese Weise bekam er saftiges Fleisch zu essen, wahrscheinlich mit Pilzen und Sahnesauce. –
Und zum Nachtisch einen hochwertigen Ziegenkäse.
Quellen
[1] Dies Wendung stammt von Odo Marquard.
[2] Richard Rorty: Bildende Philosophie. In: Was ist Bildung? Eine Textanthologie, S. 51. Reclam 19008, Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 2012.
Literaturhinweise
De Creszenzo, Luciano. Geschichte der griechischen Philosophie. Zwei Bände, Diogenes Verlag.
Marquard, Odo. Individuum und Gewaltenteilung. Reclam 18306, Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 2004.
Von Hentig, Hartmut. Bildung. Carl Hanser Verlag München Wien, 1996.
Was ist Bildung? Eine Textanthologie. Reclam 19008, Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart 2012.