Lilienthals Quintessenz
Ungefähr im Jahre 1971 gab es in der Umgebung der drei Lichterfelder Gymnasien Lilienthalschule, Goetheschule und Beethovenschule keine adäquate Schüler- oder Studentenkneipe; außerdem war es vor den 68ern nicht gerade üblich oder gern gesehen, dass Oberschüler in Kneipen gingen und öffentlich Alkohol tranken.
Die zu dieser Zeit vorhandenen Kneipen waren eher bürgerlich, also mit Stammtischen und Musikboxen eingerichtet. Daher gründete ein gewisser Michael die Quintessenz in der Kaiser-Wilhelm-Straße (Ecke Seydlitzstraße).
Wem also die bürgerlichen Kiezkneipen in Lichterfelde zu bürgerlich waren, der entschied sich für einen Abend in der Quintessenz, bei Bier und interessanten, einmal etwas anderen Gesprächen. Halbdunkel, zünftige Holztische und –bänke sowie frisch gezapftes Bier luden den Besucher zu einem entspannten Abend ein. Rockmusik und eine Handvoll halbfinsterer Gesellen, welche zumeist Biker (Motorradfahrer) waren, trugen ihr Übriges zu der Halb- und Ganzstarkenatmosphäre bei, welche eine einzigartige Anziehungskraft speziell auf Gymnasiasten auszuüben vermochte. –
Im Laufe der Jahre erklärte sich ein Maler dazu bereit, die Wand zur linken Seite des Tresens mit einem Kunstwerk zu schmücken: Eine riesige Schalplatte (aus Vinyl) prangte seitdem an besagter Wand, um die rockige Philosophie dieses Ortes noch zu unterstreichen. –
Der Name der Quintessenz leitete sich ab von der »quinta essentia«, welche neben den bekannten vier Elementen (Wasser, Erde, Feuer, Luft) der Alkohol bildete, wie ein Dauer- bzw. Stammgast meiner Wenigkeit bei einem meiner Besuche dort zu erläutern wusste. –
In diesem Ambiente konnte also ausgezeichnet gezecht, diskutiert, philosophiert und erzählt werden, nicht ohne ein gewisses Maß an Zugehörigkeit zu erhaschen, nach welchem es gewiss einem jeden Schüler oder Studenten dürstet. –
Derart inspiriert durch den Geist besagten Ortes, brachte ich folgende Zeilen zu Papier:
Kneipentratsch / Ne Pinte Buntes
Kommende Gäste
Kamen herein und setzten sich
Anschreibende Gäste
Stürzten herein und bestürzten mich
Zahlende Gäste
Kamen herein und unterhielten sich
Ausfallende Gäste
Tobten herum und belästigten mich
Einfallende Gäste
Stürmten herein und wärmten sich
Dauernde Gäste
Blieben manchmal und bestärkten mich
Gehende Gäste
Gingen dann auch und empfahlen sich
CF, 28.11.95